In der Bundesrepublik Deutschland gibt es die Pflicht für Unternehmer, jedem seiner Mitarbeiter einen Schutz über die gesetzliche Unfallversicherung bieten zu müssen. Das erfolgt in der Praxis über einen Vertrag, den der Unternehmer mit der zuständigen Berufsgenossenschaft abschließt. Einige Berufsgenossenschaften bieten mittlerweile nicht nur die Absicherung der Arbeitnehmer an, sondern ermöglichen in einigen Branchen auch die arbeitnehmerähnliche Absicherung des Firmeninhabers oder Einzelunternehmers über freiwillige Versicherungen. Ein Beispiel sind diejenigen Unternehmer, die eine Pflichtversicherung über die Künstlersozialkasse abgeschlossen haben. In der allgemeinen Wirtschaft wird die Zuständigkeit über die jeweilige Branche geregelt, in der das Unternehmen schwerpunktmäßig tätig ist. Bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften besteht bei der Zuständigkeit der Grundsatz der regionalen Zugehörigkeit. Gesetzliche Grundlage der Arbeit der Berufsgenossenschaften sind die Regelungen der Paragrafen 14 ff. des SGB VII.
Arbeitsschutz – eine der Hauptaufgaben der Berufsgenossenschaften
Das Verhindern von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten nimmt bei der Arbeit der Berufsgenossenschaften einen wichtigen Stellenwert ein. Dazu gehört beispielsweise der Erlass von Unfallverhütungsvorschriften auf der Grundlage des Paragrafen 15 SGB VII. Die Einhaltung dieser Vorschriften in den Unternehmen wird ebenfalls kontrolliert. Dabei haben die Kontrolleure der Berufsgenossenschaften sogar das Recht, Maschinen und Anlagen für die weitere Nutzung zu sperren, bei denen Sicherheitsmängel festgestellt wurden. Die Arbeitsschutzbeauftragten der einzelnen Firmen werden durch die Berufsgenossenschaften geschult.
Absicherung bei Arbeits- und Arbeitswegeunfällen
Nach Arbeitsunfällen oder Arbeitswegeunfällen sind die Berufsgenossenschaften die Träger der Leistungen, die zur medizinischen Rehabilitation der Betroffenen erbracht werden. Das umfasst die stationäre und ambulante Versorgung genauso wie den Wiederaufbau der körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch Anschlussheilbehandlungen in Kureinrichtungen. Dabei sind die Berufsgenossenschaften auch für den Ausgleich materieller Nachteile durch anfallende Fahrtkosten zu notwendigen Behandlungen oder bei der vorzeitigen Abnutzung von Bekleidung bei der Verwendung von Gehhilfen zuständig.
Entsteht nach einem Arbeitswege- oder Arbeitsunfall oder durch die Folgen einer anerkannten Berufskrankheit, Pflegebedürftigkeit, werden von den Berufsgenossenschaften Leistungen erbracht, die denen der gesetzlichen Pflegeversicherung sehr ähnlich sind. Einige Leistungen gehen auch darüber hinaus, denn sie zielen auf die Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben ab. Ziel dieser Leistungen ist die Herstellung der Fähigkeit zur selbstständigen Bewältigung des Alltags. Das heißt, dass dazu auch die Kosten für notwendige Umbauten an Sanitäreinrichtungen oder beispielsweise für den Einbau von Treppenliften übernommen werden können.
Die Geldleistungen der Berufsgenossenschaften
Die am häufigsten in Anspruch genommene Geldleistung der Berufsgenossenschaft ist das Verletztengeld. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich im Paragrafen 45 des SGB VII. Das Verletztengeld gibt es während der Zeit einer Arbeitsunfähigkeit, die Folge eines Arbeitsunfalls, eines Arbeitswegeunfalls oder einer Berufskrankheit ist. Kommt ein Versicherter durch einen Arbeitsunfall zu Tode, wird durch die Berufsgenossenschaft an die Hinterbliebenen ein Sterbegeld gezahlt. Entsteht als Folge einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls eine vorübergehende oder dauerhafte Erwerbseinschränkung, können die Betroffenen bei der Berufsgenossenschaft eine Rente beantragen, die unabhängig von einer privaten Unfallrente und der Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wird. Bevor eine Rente genehmigt wird, müssen jedoch alle Möglichkeiten auf eine Rehabilitation voll ausgeschöpft werden. Rehabilitationsleistungen von der Berufsgenossenschaft können auch bedeuten, dass die Kosten für eine Umschulung übernommen werden.
Wie finanziert sich eine Berufsgenossenschaft?
Die Leistungen der Berufsgenossenschaft werden über Beiträge finanziert, die von den Unternehmern vollständig getragen werden müssen. Dabei wird ein Umlageverfahren angewendet, das auf eine nachträgliche Bedarfsdeckung abzielt. Wie hoch der Beitrag eines Unternehmens ist, richtet sich einerseits nach der Anzahl der Beschäftigten, andererseits nach der Branche, in der das Unternehmen tätig ist. Dazu werden Gefahrklassen erarbeitet, in denen das individuelle Unfallrisiko für bestimmte Berufsgruppen erfasst wird. Daraus werden in einem weiteren Schritt die Gefahrtarife abgeleitet. Für die Einstufung in die Gefahrklassen werden darüber hinaus noch Statistiken zur Häufigkeit von Berufskrankheiten mit ausgewertet. Weiteren Einfluss auf die Beitragshöhe hat die Lohnsumme, die von den Unternehmen an die Mitarbeiter regelmäßig gezahlt wird. Sie wird deshalb einbezogen, weil sich die Renten und auch das Verletztengeld von der Höhe her am durchschnittlich erzielten Einkommen der Betroffenen vor dem Schadensfall orientieren.
Die Besonderheiten der spezialisierten Berufsgenossenschaften
Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sind im „Verbundträger Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau“, oder kurz SVLFG, vereint. In diesen Berufsgenossenschaften wird der Unternehmer selbst grundsätzlich mit in die Unfallversicherung einbezogen. Binnenfischer, Jagdunternehmen und Imker können sich ebenfalls in den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften versichern.
Unterschiede zu den anderen Berufsgenossenschaften ergeben sich hier auch bei der Beitragsberechnung. Der Umfang der nutzbaren Flächen sowie die Art der Nutzung werden dabei berücksichtigt. Bei Tierhaltern werden die Gattung der Nutztiere und das von ihnen ausgehende Gefahrenpotential in die Beiträge mit einkalkuliert. Die einstige Gartenbau-Berufsgenossenschaft ist seit dem 1. Januar 2013 ein Bestandteil der SVLFG.
Bis zum Jahr 2010 gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine spezielle Berufsgenossenschaft für Seeleute. Sie hatte einen deutlich umfangreicheren Aufgabenbereich und ist inzwischen mit der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen verschmolzen. Reedereien können die Unfallversicherung für ihre Mitarbeiter seit der Fusionierung bei der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft abschließen.
Die geschichtlichen Ursprünge der Berufsgenossenschaft
Die Entstehung der Berufsgenossenschaften ist einer Initiative von Kaiser Wilhelm I. zu verdanken. Er forderte im Jahr 1881 die Etablierung einer Sozialversicherung, in der eine Absicherung gegen die Folgen von Arbeitsunfällen mit enthalten sein sollte. Für die Umsetzung dieser Pläne war Reichskanzler Bismarck verantwortlich, dem die Realisierung im Jahr 1884 mit der Einführung des Unfallversicherungsgesetzes gelang. Ursprünglich verband Kaiser Wilhelm I. mit den Berufsgenossenschaften das Ziel, eine Volksvertretung zum Erhalt des „inneren Friedens“ im Reich zu schaffen. Diese Zielstellung konnte mit den Berufsgenossenschaften nicht erreicht werden. Allein im Jahr 1885 entstanden daraufhin mehr als sechzig verschiedene Berufsgenossenschaften. Schon sehr früh entwickelte sich die Knappschaft zu einer bedeutenden Berufsgenossenschaft. Sie zählte bereits im Jahr 1887 fast 350.000 Versicherte.
Seit dem Ende des II. Weltkriegs ist bei den Berufsgenossenschaften ein Trend zur Fusionierung zu beobachten. Der Startschuss fiel mit der Vereinigung der Töpferei-Berufsgenossenschaft mit der Ziegelei-Berufsgenossenschaft. So sind aus den einst kleinen Trägern der Unfallversicherung starke Gemeinschaften geworden, die inzwischen sogar eigene Kliniken betreiben. Gute Beispiele dafür sind die Krankenhäuser, die mit dem Zusatz „Bergmannstrost“ oder „Bergmannsheil“ gekennzeichnet sind. Grund der Fusionen der jüngsten Zeit ist das im Jahr 2008 geschaffene „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung“. Seit Jahresbeginn 2011 sind in Deutschland noch neun gewerbliche Berufsgenossenschaften aktiv.
Die Ergänzungen zu den Berufsgenossenschaften
Es gibt einige Behörden und Institutionen, die keiner der bereits genannten Berufsgenossenschaften zugeordnet werden können. Ein Beispiel dafür ist der öffentliche Dienst. Hier wurde mit den Landesunfallkassen sowie den Gemeindeunfallversicherungsverbänden ein Pendant zu den gewerblichen Berufsgenossenschaften geschaffen. Sämtliche Beschäftigten von Bundesbehörden sind über die Unfallkasse des Bundes abgesichert. Weitere besondere Absicherungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten werden in Deutschland über die Unfallkasse der Post und der Telekom sowie die Eisenbahn-Unfallkasse garantiert.
Siehe ergänzend auch Artikel zur Genossenschaft, Zeitarbeit, Bildschirmarbeitsverordnung, Lohnnebenkosten oder Manteltarifvertrag im Lexikon.